Ungezählte Schäfchen, zwei taktische Kreuze und eine fehlende Aufbruchstimmung als wirkliche Alternative für Deutschland

Letzte Nacht konnte ich nicht schlafen und habe die Zeit, statt Schäfchen zu zählen, zum Ausfüllen der Briefwahlunterlagen genutzt.

Ich habe die Unterlagen gleich an dem Tag bestellt, an dem die Wahlbenachrichtigung im Briefkasten lag. Auch wenn in Deutschland viel über mangelnde Digitalisierung geschimpft wird, war das eine wirklich durchdachte Lösung. Einfach den QR-Scan und eine E-Mail-Adresse für die Eingangsbestätigung eingeben und fertig.

Vielleicht erlebe ich es noch, dass es in der Bundesrepublik ähnlich einfache Verfahren für alle Behördengänge gibt oder dass man bei einer Wahl sogar direkt online seine Stimme abgeben kann. Aber dafür müssten im Vorfeld zu viele Bedenkenträger ihren Job verlieren und nicht zu vergessen die notwendige Überzeugungsarbeit in der Bevölkerung. Ein Blick auf die Bargeldfetischisten genügt, um zu wissen, was auf die Verantwortlichen zukommt.

An dieser Stelle verzichte ich auf mein Wahlgeheimnis: Ich habe mit beiden Stimmen CDU gewählt. Es sind zwei Kreuze, die ich nicht aus innerer Überzeugung gemacht habe, sondern aus Einsicht in die taktische Notwendigkeit.

Seit mehr als drei Jahrzehnten wird der Freistaat Sachsen von den Christdemokraten regiert. Das waren viele erfolgreiche Jahre, aber der Gestaltungswille ist einem schläfrigen Machterhaltungstrieb gewichen. Unser Sachsen bräuchte dringend eine positive Aufbruchstimmung und die kann ich bei der CDU nicht erkennen.

Diese positive Aufbruchstimmung hätte ganz Deutschland dringend nötig. Nach jeder Wahl sind alle entsetzt, wie viele Stimmen die sogenannte AfD wieder bekommen hat. Und das ist ein gesamtdeutsches Problem, aber niemand muss mit geifernd erhobenem Zeigefinger auf den „Osten“ schauen.

Aber was ist der Lösungsvorschlag unserer Politiker? Aktionen gegen den rechten Mob. Dabei bräuchten wir so dringend Konzepte, um unser Land zukunftsfähig zu machen und, fast noch dringender, Politiker, die für diese Konzepte brennen. Die den Menschen die Pläne erklären können und auch die Zweifler mitnehmen.

Es gab eine Zeit, da hat man sich bei einer Familienfeier den etwas nazihaften Onkel kurz angehört, milde geschmunzelt und sich dann wieder den eigentlichen Themen zugewandt. Heute widmet man dem komischen Onkel viel Zeit. Kein Wunder, dass sie sich jetzt wichtig, groß und stark fühlen.

Doch warum wähle ich also CDU?

In Sachsen wird dem „schmutzigen“ Teil der Familie gerade viel Aufmerksamkeit geschenkt. Auch wenn ich es nicht verstehen kann, wählen viele „Familienmitglieder“ Parteien, über die sie eigentlich den Kopf schütteln. Die öffentliche Aufmerksamkeit für schräge Typen mit noch schrägeren Thesen ist im Moment einfach sehr groß.

Das Angebot an Populismus ist breit gefächert: Neben der AfD überbieten sich BSW, Freie Wähler, BüSo, Bündnis Deutschland und die Freien Sachsen mit simplen Phrasen. Und doch ist die Gefahr groß, dass die AfD mit ihrer Mischung aus Wut, Lügen und Hetze als stärkste Kraft aus der Landtagswahl am 1. September hervorgeht. Unklar dagegen ist, ob es SPD, die Grünen, FDP und die Linke überhaupt ins Parlament schaffen.

Damit meine Stimme nicht verloren geht, kann ich nur für die Kretzscher-Gruppe stimmen. Mit Bauchgrummeln und auch in der Gewissheit, dass es eine positive Aufbruchstimmung in nächster Zeit wieder nicht geben wird.


Kommentare

Hans-Georg • Sonntag, 4. August 2024

Zum Wahlgeheimnis: Es ist ja nicht verboten, seine persönliche Meinung kundzutun. Das Wahlgeheimnist existiert wohl nur in der Wahlkabine. Dort darf man ja nicht mal fotografieren.

Und was das Bargeld angeht, es gibt ja erstaunerlicherweise immer noch sehr viele Menschen, die die Europreise in DM-Preise umrechnen. Das ist inzwischen eh völliger Blödsinn wenn man ein Produkt, welches vor mehr als zwanzig Jahren z.B. 1 DM gekostet hat, mit dem Preis von heute vergleicht. Diese Menschen lassen die Inflation völlig aussen vor und meinen, dass sie heute dafür immer noch 1 DM bezahlen müssten, welch ein Schwachsinn.