Lichtsignalanlagen und kurzfristige Grundgesetzänderungen

Die Praxis meines Pneumologen liegt am „anderen Ende“ der Stadt. Meistens fahre ich mit der Straßenbahn dorthin, was sehr bequem ist. Heute habe ich mich aus organisatorischen Gründen für das Auto entschieden. Eine nervenaufreibende Angelegenheit. Statt der üblichen 25 Minuten habe ich fast eine Dreiviertelstunde gebraucht. Das Fehlen der Carolabrücke macht sich in der Verkehrsdichte deutlich bemerkbar und unterhalb der Ruine war ich zudem von der Verkehrsführung überrascht.

Die Ampel an der eigentlich nicht mehr vorhandenen T-Kreuzung Steinstraße/Terassenufer ist auch ein halbes Jahr nach dem Einsturz noch in Betrieb. Die Kreuzung ist zwar zu einer ziemlich scharfen Kurve geworden, aber die Gründe für den Weiterbetrieb sind mir schleierhaft. Aber sie lassen sich ergoogeln.

In der Dresdner Innenstadt gibt es ein Gesamtkonzept zur Steuerung der Lichtsignalanlagen, das mit der Fakultät Verkehrswissenschaften der TU Dresden erarbeitet wurde und aus dem man nicht mal schnell eine einzelne Ampel herausnehmen kann. Außerdem ist die Straße ein stark frequentierter Schulweg. Die Ampel dient der sicheren Querung.

Argumente, die für mich logisch nachvollziehbar sind. Aber es gibt auch die andere Seite des Internets. Eine Ansammlung von Helden, die das Problem der Ampelsteuerung innerhalb einer halben Stunde durch das Aufstellen von Baustellenampeln lösen würden oder solche, die eine Verschwörung des grünen Baubürgermeisters wittern. Ich halte Stephan Kühn auch für eine absolute Fehlbesetzung, aber man kann die Realität nicht ignorieren.

Nach der zeitraubenden Fahrt quer durch Dresden hatte ich im Wartezimmer noch Zeit und scrollte durch Bluesky: Da war das Posting einer jungen Frau, die von ihrem Zahnarzt zum Kieferchirurgen geschickt wurde, um zu klären, ob ein Weisheitszahn gezogen werden muss. Das gefiel ihr gar nicht. Deshalb fragte sie nach Gründen, warum der Zahn drin bleiben kann. Ich weiß, dass die Zahnärzte früher die Weisheitszähne sehr schnell gezogen haben. Aber da hat sich die Lehrmeinung geändert. Was ich aber nicht verstehe, ist, wie man Laien fragen kann, ob die Meinung von zwei Fachleuten, die Zahnmedizin studiert haben, falsch ist. Und noch weniger verstehe ich, wie man einen Fall beurteilen kann, ohne die Fakten zu kennen. Denn dem Social-Media-Beitrag lag kein Befund, geschweige denn ein Röntgenbild bei. Die Antworten enthielten jedoch vollständige Anamnesen, Diagnosen und Behandlungspläne. Das Wort „Öl“ tauchte dabei immer wieder auf.

Aber auch im Deutschen Bundestag nimmt man es mit der Realität und den Fakten oft nicht so genau. Nehmen wir zum Beispiel die Rede von Dr. Alice Weidel zu den Sondervermögen: Die Volkswirtin behauptet, dass Deutschland sein AAA-Rating verlieren und der Euro massiv abgewertet werden wird. Nun, als sich CDU/CSU und SPD in den Sondierungsgesprächen auf die Schuldenpakete geeinigt haben, ist der Euro so stark gestiegen wie schon lange nicht mehr, und der Top-Analyst Frank Gill vom Marktführer „Standard & Poor’s“ hat den schönen Satz gesagt, alles, was die Binnenwirtschaft in Deutschland ankurbelt, hilft der Kreditwürdigkeit.

Ich möchte kurz bei den Schuldenpaketen bleiben und komme – oh Wunder – doch noch auf die Ruine der Carolabrücke zurück. Für mich hat es schon ein „Geschmäckle“, wenn ein zwar noch amtierendes Parlament in kurzer Zeit drei Grundgesetzänderungen beschließt, aber die Neuen Abgeordneten schon bestimmt sind. Die Realität im neu gewählten Bundestag ist aber, dass dort eine Partei massiv an Zustimmung gewonnen hat, die zwar seit Jahren den maroden Zustand der Infrastruktur in Deutschland beklagt, nun aber die Hebel in der Hand hat, Maßnahmen, die zu einer Vermessung führen, zu blockieren, um dann wieder die Untätigkeit der Regierung zu beklagen, wohl wissend, dass die Wähler schnell vergessen.