Ehrenamt und Urteile im Namen des Volkes

Seit zehn Jahren bin ich Schöffe am Landgericht Dresden. Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Verhandlungstag. Unter der Anzugjacke war mein Hemd schon vor dem Sitzungsbeginn durchgeschwitzt. Wahrscheinlich war ich aufgeregter als der Angeklagte. Ich kam mit einer Welt in Berührung, die ich zuvor nur vom Hörensagen kannte, und auch wenn die Aufregung verflogen ist, habe ich immer noch großen Respekt vor dieser Aufgabe. Sie ist so anders als mein normaler Arbeitstag. Das fängt schon damit an, dass ich sonst nicht mit Menschen zu tun habe, die in Handschellen zu ihren Terminen bei mir erscheinen.

Es gibt ein höheres Gericht als die Gerichte, und das ist das Gericht des Gewissens. Es hat Vorrang vor allen anderen Gerichten.

Zorn und Intoleranz sind die Feinde eines gerechten Verstehens.

Mahatma Gandhi

Ich habe mich für dieses Ehrenamt entschieden, als in Dresden die Pegida-Bewegung Woche für Woche Menschen auf die Straße brachte, denen es nicht in erster Linie um konstruktive Lösungen ging, sondern darum, ihrem Frust Luft zu machen. Kritik an der Regierung (damals wie heute) kann ich verstehen. Aber mich nur lautstark zu empören, ist nicht meine Art. Ich will mitarbeiten, mitgestalten.

In der Politik sehe ich mich nicht, auch wenn es mich durchaus reizen würde. Ich empfinde Politik zu oft als Kuhhandel, auch wenn ich weiß, dass das eine unfaire Einschätzung ist. Ein Interessenausgleich ist notwendig, und Mehrheiten müssen sich immer auch für die Rechte von Minderheiten einsetzen.

In letzter Zeit habe ich aber das Gefühl, dass die Minderheiten die Mehrheiten bestimmen, und Leute wie Jens Spahn oder Markus Söder haben mir den Spaß am politischen Diskurs genommen, den ich früher hatte. Wenn ich dann auch noch auf Wähler von Hasspredigern treffe, habe ich überhaupt keine Lust mehr, über Politik zu reden. Nach meiner Erfahrung sind diese Menschen nicht mehr offen für andere Meinungen. Ich bedaure das, denn eigentlich kann jede Meinung eine Bereicherung sein und es lohnt sich, über sie zu diskutieren und die Welt mit anderen Augen zu sehen. Aber dazu braucht man mindestens zwei offene Geister und die treffe ich im Dunstkreis von AfD und BSW nicht.

Zurück in den Gerichtssaal. Die Fälle waren sehr unterschiedlich: Drogenmissbrauch, Kindstötung, versuchter Totschlag, Körperverletzung, Veruntreuung oder Bandendiebstahl. Am Anfang war ich ein stiller Schöffe und während einer Verhandlung bin ich das meist noch immer. Von meinem Fragerecht in der Verhandlung mache ich selten Gebrauch, dafür frage ich umso mehr im Beratungszimmer. Ich möchte den Fall verstehen, in dem ich um meine Entscheidung gebeten werden. Denn als Schöffe möchte ich nicht nur schmückendes Beiwerk sein, sondern meine Ansichten einbringen. Im Fall von Schwarzarbeit kommt dann auch mal der Fachwirt im Sozial- und Gesundheitswesen durch, der ich im Alltag bin.

Über das Geschehen im Beratungszimmer selbst kann ich nichts schreiben, da dies unter die Schweigepflicht fällt. Die Atmosphäre empfinde ich immer als offen. Natürlich geben das Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung den Rahmen vor, aber ich habe noch nie erlebt, dass die Vorstellungen von uns Schöffen abgetan werden. Im Gegenteil, vielen Richtern scheint das wichtig zu sein, denn wir wirken der Betriebsblindheit entgegen, und schließlich ergeht jedes Urteil im Namen des Volkes.