Das F-Kabinett, ein für die Öffentlichkeit bestimmtes vertrauliches Papier zur Wirtschaftswende als geplante Provokation und der Machtanspruch des Christian Lindner

Die FDP hat einen handfesten politischen Skandal produziert, der uns sicher noch weit über die Neuwahlen am 23. Februar 2025 beschäftigen wird. Die Zeit hat einen Artikel veröffentlicht, der im Detail aufdeckt, was in der FDP bis zum Bruch der Koalition passiert ist.

Das liberale Drehbuch für den Regierungssturz

Am 29. September 2024 treffen sich die vier Bundesminister der FDP (Finanzminister Christian Lindner, Justizminister Marco Buschmann, Verkehrsminister Volker Wissing und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger) sowie weitere hochrangige Parteifunktionäre, insgesamt 12 Personen, in einer Villa bei Potsdam. Sie nennen diese Runde das F-Kabinett, es soll um die Zukunft der Partei gehen. Zu diesem Zeitpunkt liegt die FDP in den Umfragen bereits unter der 5%-Hürde, der Wiedereinzug in den Bundestag ist gefährdet. Das F-Kabinett erarbeitet an diesem Tag drei mögliche Szenarien:

  • Eine konstruktive Weiterarbeit in der Bundesregierung bis zum Schluss.
  • Den Bundeskanzler dazu zu bringen, die Vertrauensfrage zu stellen.
  • Selbst den Bruch der Regierung herbeiführen, indem man SPD und Grüne immer weiter provoziert.

Für Herrn Lindner ist schnell klar, dass er keine Hoffnung für die FDP sieht, solange sie in der Regierung bleibt. Viele in der Runde stimmen ihm zu, nur wenige sind dagegen. Christian Dürr, Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, bittet um mehr Bedenkzeit. Volker Wissing lehnt Lindners Idee ebenso ab wie ein, im Zeit-Artikel ungenannter Parteimitarbeiter.

Am Ende geht die Runde mit Ideen auseinander, wie SPD und Grüne weiter gereizt werden können. Dazu soll ein wirtschaftspolitisches Konzept erarbeitet werden, das so formuliert ist, dass es in der Regierung nicht konsensfähig ist. Das soll dann der FDP als inhaltliche Begründung für den Austritt dienen. Ein zweites Papier soll erstellt werden, das die aus FDP-Sicht verheerende Bilanz grüner Politik für Deutschland beschreibt. Es soll als vertrauliches Dokument gekennzeichnet werden, dann aber doch an die Presse „durchgestochen“ werden. Der Austritt soll weiter vorbereitet werden.

Marco Buschmann schließt die Runde mit einem Zitat: „Der beste Schauspieler kann seine Rolle nur authentisch spielen, wenn er sich in ihr wohl fühlt“. Wohlgemerkt, er sprach von Schauspielern, nicht von Politikern.

Eine Woche später tagt das F-Kabinett wieder am selben Ort. Eigentlich sollen die Mitarbeiter die vorbereiteten Konzepte vorstellen, aber Lindner ist offensichtlich schon einen Schritt weiter. Er hat eine Powerpoint mitgebracht, die den Ausstieg weiter präzisiert. Man müsse jede Gesetzesinitiative der Ampelpartner blockieren, um die Frustration weiter zu steigern. Dazu müsse das zentrale Narrativ immer wieder in den Medien platziert werden. Eine echte Wirtschaftswende sei mit den Koalitionspartnern nicht zu machen.

Die FDP bereitet sogar ein Szenario für den Fall vor, dass der Kanzler nicht mitspielt. In diesem Fall wolle man die eigenen Minister aus der Regierung abziehen und Lindner als Parteivorsitzenden zurücktreten, um sich dann wenige Wochen später auf einem Parteitag wieder zum Vorsitzenden wählen zu lassen. Lindner hatte übrigens noch vier Tage zuvor in einem Interview mit dem Münchner Merkur gesagt, es gehe ihm nicht darum, Ultimaten an Koalitionspartner zu stellen. Es gehe ihm darum zu zeigen, dass die Regierung nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung sei.

Am 14. Oktober 2024 trifft sich die Runde erneut, diesmal in der FDP-Zentrale in Berlin. Volker Wissing meldet erneut Bedenken an und das scheint bei Lindner fast das Fass zum Überlaufen zu bringen. Er platzt förmlich vor Wut, schreit, die FDP müsse aus der Ampel raus, er könne diese Fressen einfach nicht mehr sehen. In der Partei verschärft sich jetzt auch das Wording, die FDP nennt den Ausstieg jetzt ihren D-Day.

Am 1. November 2024 veröffentlicht Michael Wissing in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen Artikel, in dem er vor einem Bruch der Koalition warnt. Jeder in der FDP-Führung weiß, wer damit gemeint ist. Das Wirtschaftswende-Papier wird vom Stern veröffentlicht, bevor die FDP es geplant hat. Die Partei, die einen Leak vortäuschen wollte, hat plötzlich einen. Das Papier entfaltet trotzdem seine Wirkung, es ist die maximale Provokation für SPD und Grüne.

In der Woche darauf passiert das, was wir alle in den Nachrichten gesehen haben, inklusive der absurden Wortspenden, die die politische Karriere von Herrn Lindner hoffentlich endgültig beenden.

  • Zur staatspolitischen Verantwortung gehört auch der Stil in der Öffentlichkeit, damit die Demokratie keinen Schaden nimmt.
  • Wir entscheiden jetzt auch über unsere politische Kultur.

Und ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich finde das wirklich unter aller Sau.

Lindner ging es überhaupt nicht um Inhalte oder Prinzipien, sondern um reines Machtkalkül. Damit hat er dem Politikverständnis in der Bevölkerung einen Bärendienst erwiesen. Denn die FDP hat all das gezeigt, was die Menschen schon immer an Politikern gehasst haben. Lügen, Machtgier, Schauspielerei und nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Das ist in meinen Augen einer der größten Skandale der politischen Kultur, den sich eine demokratische Partei in Deutschland je geleistet hat.

Putin, seine deutschen Kolonnen und die Populistinnen in Italien und Frankreich werden sicher mehr als eine Flasche Krimsekt geöffnet haben.


Kommentare

Hans-Georg • Montag, 18. November 2024

Potsdam? War da nicht mal was? Hat man bewusst Potsdam für die Zusammenkünfte gewählt? Man kann nur hoffen, dass sich Lindner selbst ein Bein gestellt hat und die Wähler sein falsches Spiel nicht vergessen.

Danny l BehindBlueEyes.de • Montag, 18. November 2024

Die Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz und Adam Tooze warnten bereits 2021 vor Herrn Lindner. Schade, dass niemand auf sie gehört hat.


C. R • Montag, 18. November 2024

Auf Twitter gibt es einen wunderbaren Hashtag:

#FPDrausAusJederVerantwortung