Dresden und die morbide Liebe

Sie ist weg: Der eingestürzte Teil der Carolabrücke ist inzwischen nahezu vollständig verschwunden. Am 22. Mai 2025 haben die Bagger die letzten Betonteile abgerissen. In dieser Woche wurde das Abschlussgutachten veröffentlicht. Demzufolge ist Spannungsrisskorrosion im Spannstahl die Einsturzursache. Demnach hätten sich bereits beim Verbauen des Spannstahls vor 50 Jahren winzige Risse gebildet, die sich durch die Belastung der Brücke im Beton stetig vergrößert hätten, bis der Spannstahl schließlich brach.

Für das 800-seitige Gutachten wurden Bautagebücher aus den Siebzigerjahren, Fotos und sogar Satellitendaten aus dem Jahr 2015 ausgewertet. Dabei stellte man fest, dass sich Teil C anders verformte als die beiden anderen Brückenteile. In der Nacht des 11. Septembers 2024 kamen dann zwei weitere Faktoren hinzu. Durch einen drastischen Temperaturabfall stand der Brückenteil unter besonderer Spannung. In diesen Zustand fuhr dann die letzte Straßenbahn hinein. Diese Fahrt war nicht ursächlich für den Einsturz, sie war jedoch der Auslöser. Dieser Zustand der Carolabrücke war in Expertenkreisen vor ihrem Zusammenbruch bekannt, und es gab Warnungen.

Übernahme politischer Verantwortung? Fehlanzeige!

Der Einsturz war also kein Schicksal und kein Riesenpech, für das niemand etwas kann. Damit stellt sich die Frage nach politischer Verantwortung. Wo liegt diese?

Für das Bauen in Dresden tragen viele Verantwortung. Beginnend beim Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) über den Baubürgermeister Stephan Kühn (Grüne) bis hin zu den einzelnen Fraktionen des Stadtrats, die Mitglieder im Ausschuss für Stadtentwicklung, Bau, Verkehr und Liegenschaften stellen. In diesem Ausschuss ist beispielsweise die AfD mit ihrem Fraktionsvorsitzenden in der Stadtverordnetenversammlung, Thomas Ladzinski, prominent und sonst recht lautstark vertreten. Keiner der genannten Herren und auch sonst niemand aus Politik und Verwaltung hat bisher auch nur ein Wort über seine Verantwortung verloren.

Die Carolabrücke beweist exemplarisch, dass, wenn ein Politiker mit dem Zeigefinger auf andere zeigt, immer auch drei Finger auf ihn selbst zeigen.

Die ursprüngliche Carolabrücke in Dresden, die 1895 eröffnet und 1945 zerstört wurde, war eine Kombination aus Stein- und Eisenträgerwerk. Sie wurde im Stil des Dresdner Barocks gestaltet und war ein bemerkenswertes Bauwerk ihrer Zeit, insbesondere wegen der Verwendung von drei großen Bogenfachwerkträgern aus Eisen und einigen steinernen Stichbögen.

Die 1971 fertig gestellte neue „Dr.-Rudolf-Friedrichs-Brücke“ war dann eine der ersten Spannbetonbrücken in Hohlkastenbauweise und zugleich die größte Spannbetonbrücke der DDR. Sie wurde schlank und funktional gestaltet, um die freie Sicht auf die berühmte Silhouette möglichst wenig zu beeinträchtigen.

Dresdner Barock

In Dresden gibt es eine geradezu morbide Liebe zum Barock. Dies zeigte sich erstmals in den 90er Jahren, als eine Ausstellungshalle nach Plänen des US-amerikanischen Künstlers Frank Stella gebaut werden sollte, die weltweit Aufmerksamkeit erregt. Geworden ist daraus jedoch nichts. Etwas Modernes als Gegenüber des Zwingers kam nicht infrage. Das darf in Elbflorenz nicht sein.

Eine Einstellung, die ich nicht nachvollziehen kann. Denn Städte wie London, Paris oder Moskau leben doch auch von diesen Gegensätzen. In Dresden bedarf es aber immer etwas Historischem, wie beim Wiederaufbau des Neumarkts rund um die Frauenkirche. Jetzt zeigt sich dieser Hang erneut bei der Diskussion zur Carolabrücke.

Insgesamt haben rund 25.000 Menschen verschiedene Petitionen für den Wiederaufbau der Brücke im Stil von 1895 unterstützt. Eine für mich unverständliche Forderung. Denn die alte Königin-Carola-Brücke ist doch arg kitschig, und wir leben nicht mehr im Barock. Mit dem Argument Tourismus braucht da auch niemand zu kommen. Der hat auch mit der DDR-Brücke funktioniert. Was Dresden jetzt braucht, ist ein schneller Neubau nach den Grundrissen aus den 60er/70er Jahren, vielleicht im Stil der Londoner Millennium Bridge. Dieser sollte modernen Anforderungen und Ästhetik entsprechen – und bitte ohne der üblichen Diskussionen à la Hufeisennase (noch so eine Dresdner morbide Liebe).


Kommentare


Hans-Georg • Donnerstag, 29. Mai 2025

Die gegensätzliche Architektur in London finde ich toll. Ich verstehe nicht, warum man sich in anderen Städten dagegen sperrt, Modernes mit Altem zu verbinden. In Lübeck ist es ähnlich wie bei euch.


DirkorrekteEule • Donnerstag, 29. Mai 2025 (kommentiert via Bluesky)

Die Kritik an der Barockduseligkeit teile ich zu 100%. Gerade der Kontrast zu einem modernen Gebäude läßt das alte glänzen, und ausserdem: das ist hier kein Museumsdorf, sondern eine Grossstadt.


Quellen

Text: dresden.de, radio-dresden.de, mdr.de
Fotos: wikimedia.com, bundesarchiv.de, live-doku.tv