Mittelmäßigkeit und Herrenrasse

Das Verschwinden des Josef Mengele“ ist kein einfacher Film. Allein das Thema – die letzten Jahre des berüchtigten NS-Arztes und Kriegsverbrechers während seiner südamerikanischen Flucht – erfordert eine intensive Auseinandersetzung. Es ist ein beklemmendes Porträt eines Mannes, der bis zum Schluss keinerlei Reue zeigt. Was diesen Film jedoch besonders macht, ist die künstlerische und beunruhigende Technik, mit der seine psychische Verfassung dargestellt wird.

Ein Spiel mit Farben, das verstört

Um Mengeles verdrehte Realität zu visualisieren, wählte der Regisseur einen ungewöhnlichen, aber genialen Weg. Das gegenwärtige Leben des Arztes in der Flucht, das er als ungerechtfertigtes Exil empfindet, wird in klarem, nüchternem Schwarz-Weiß gezeigt. Die Trostlosigkeit seines Exils steht im krassen Gegensatz zu seinen inneren Bildern.

Immer wenn Mengele in Erinnerungen schwelgt, insbesondere an seine Zeit im Konzentrationslager Auschwitz, erstrahlen diese Momente in voller, satter Farbe. Dies ist keine Verklärung der Ereignisse selbst, sondern eine schockierende Darstellung von Mengeles gestörtem Geisteszustand. Er empfand die Zeit in Auschwitz als die „gute Zeit“ – als Höhepunkt seiner wissenschaftlichen Karriere und des deutschen Einflusses. Die Farbe dient somit als Indikator für seine perverse Sehnsucht nach einer vermeintlich glorreichen Vergangenheit.

Die Flucht und der fehlende Funke Reue

Der Film zeichnet die letzten Jahre von Joseph Mengele in Argentinien, Paraguay und Brasilien nach. Unter falschen Identitäten lebte er dort und wurde von loyalen Altnazis unterstützt. Die Handlung ist größtenteils eine beklemmende Dokumentation seines physischen und geistigen Verfalls, seiner Paranoia sowie seiner anhaltenden Verachtung für eine Welt, die ihn zur Rechenschaft ziehen will.

Der Film zeigt keinen inneren Kampf, keine Katharsis, sondern die eiserne Überzeugung eines Mannes, der sich nicht als Täter, sondern als Opfer einer ungerechten Weltordnung sieht. Von seiner unerschütterlichen Ideologie getrieben, verbringt er seine letzten Jahre in bitterer Einsamkeit, unfähig, sich von seinem Wahn zu lösen.

Die Ideologie der Sechzigerjahre und heutige Parallelen

In den 1960er Jahren sind die Nachwirkungen der nationalsozialistischen Ideologie in der Bundesrepublik noch spürbar. Der Film beleuchtet, wie die Überzeugung von der Überlegenheit der deutschen „Rasse” und die Verachtung der Demokratie in weiten Teilen der Gesellschaft verankert blieben. Die Netzwerke, die Mengele unterstützten, glorifizierten die Vergangenheit und hielten an dem Traum eines wiedererstarkten, ethnisch homogenen Deutschlands fest.

Gerade diese Mechanismen sind es, die den Film zu einem dringenden Dokument unserer Gegenwart machen. Erschreckenderweise finden sich Ansichten wie die Sorge um die vermeintliche Überlegenheit der Deutschen und die Forderung nach „Volksreinheit“ in beunruhigender Stärke in der öffentlichen Debatte wieder (oder noch immer?). „Das Verschwinden des Josef Mengele“ ist somit nicht nur die Geschichte eines gejagten Täters, sondern auch eine Warnung vor der Unzerstörbarkeit mancher Ideologien, die sich jederzeit wieder hinter neuen Parolen verbergen können. Die Botschaft des Films ist eindeutig: Die historische Verantwortung endet nicht mit dem Tod des Täters.


Kommentar

Stefan • Donnerstag, 30. Oktober 2025 (via WhatsApp)

Ein sehr schöner abschließender Satz.


Bildquelle: DCM/Cannes 2025, LupaFilm/CG-Cinema/HypeStudios/DCM