10 Jahre „Wir schaffen das“ und die deutsche Unehrlichkeit

Das sind die aktuellen Zahlen zur Sonntagsfrage. Sie geben auch eine indirekte Antwort auf die derzeit viel diskutierte Frage: Haben wir die Herausforderungen der Flüchtlingskrise von 2015 gemeistert? Diese Frage wird jeder je nach politischer Gesinnung unterschiedlich beantworten.

Ich würde die Frage erst einmal bürokratisch beantworten: Die Flüchtlinge sind registriert und untergebracht. Auch wenn es holprig war, haben wir das im Großen und Ganzen geschafft. Damit ist der Staat erst einmal raus und es geht um die einzelnen Menschen, die neu hier sind. Haben diese es geschafft? Die Flüchtlinge, die nicht laut in der Öffentlichkeit präsent sind, haben in meinen Augen ihre Chancen genutzt. Die jungen Männer, die allerorten das Straßenbild beeinflussen, haben die Möglichkeiten hingegen nicht wahrgenommen. Mein Eindruck ist, dass sie auch gar nicht wirklich Teil unserer Gesellschaft werden wollen.

Diese Gemengelage trifft auf eine deutsche Unehrlichkeit. Linke Kräfte tun so, als wäre Migration etwas, das einfach passiert und dann ist alles gut. Dabei bringt sie auch Herausforderungen und potenzielle Probleme mit sich. Rechte Gruppen tun so, als wäre das deutsche Volk ein homogenes Konstrukt. Und sehr selten wird darüber debattiert, welche Migration wir brauchen.

Was mir in den letzten zehn Jahren in Diskussionen oft fehlt, ist Respekt gegenüber der Meinung des Gegenübers. Manchmal staune ich, manchmal tut es weh, zu sehen, wie der eigene Standpunkt um jeden Preis verteidigt wird, ohne auch nur kurz darüber nachzudenken, ob der andere vielleicht auch recht haben könnte. Besonders die Verbissenheit der Rechten und die Arroganz der Linken schmerzen mich. Wenn man ihre Meinungen nicht teilt, ist man automatisch entweder dumm oder ungebildet.

Dabei stellt weder die eine Seite noch die andere die Mehrheit. – Wobei ich gar nicht glaube, dass es die Mitte der Gesellschaft gibt. Nur formulieren die meisten ihre Forderungen ans Leben nicht so laut und absolutistisch.

Ich wünsche mir mehr Realismus in politischen Diskussionen. Selbst wenn es nach der nächsten Bundestagswahl eine Regierung mit absoluter Mehrheit im Parlament geben sollte – unabhängig von den Parteifarben – wird diese bei Amtsantritt nicht in einer anderen Welt arbeiten, sondern sich den gleichen Herausforderungen stellen müssen wie bisherige Regierungen.

PS: Wir mussten, ja wir müssen es einfach schaffen.

Die Flüchtlinge, die damals zum großen Teil in Ungarn feststeckten, waren der Unfähigkeit und dem Unwillen eines gewissen Viktor Orbán ausgeliefert. Wie hätten anständige Menschen denn anders reagieren sollen, als sich dieser Bewährungsprobe zu stellen – und dies im Vertrauen darauf, dass unser starkes Deutschland die Herausforderung bewältigen könne?

Ja, nicht alles war richtig, aber vom herbeigeredeten Untergang Deutschlands oder gar des Abendlandes sind wir weit entfernt. Es sei denn, man möchte es aus eigenem Machtwillen heraus so sehen.


Quelle Umfrage: RTL, ntv, Forsa