Futterkrippe und Stolpersteine

Alle Jahre wieder schieben wir uns durch überfüllte Fußgängerzonen, schmücken die Fenster mit Lichterketten und diskutieren, ob Kartoffelsalat mit Würstchen wirklich das ultimative Festessen ist. Weihnachten ist das Fest der Liebe und der Familie – und für viele auch das Fest des hemmungslosen Konsums. Doch wenn man die glitzernde Fassade beiseiteschiebt und sich die Frage stellt: „Was feiern wir eigentlich genau?“, wird es oft erstaunlich still im Raum.

Was feiern wir eigentlich genau?

Weihnachten ist das Fest der Inkarnation, der Menschwerdung Gottes. Aus christlicher Sicht feiern wir die Geburt von Jesus von Nazaret. Die Geschichte ist uns so vertraut, dass wir sie oft gar nicht mehr hinterfragen. Ein Paar auf Herbergssuche, ein Stall, ein neugeborenes Kind in einer Futterkrippe, Hirten auf dem Feld und drei Weise aus dem Morgenland.

Die Botschaft ist noch immer radikal. Gott kommt nicht als strahlender Herrscher oder furchteinflößender Richter zur Welt, sondern als hilfloses Baby in ärmlichsten Verhältnissen. Es ist die Umkehrung aller Machtverhältnisse. Für Gläubige ist es der Moment, in dem die Hoffnung in die Welt kam. Nicht-Gläubigen bleibt zumindest die kulturelle Feier der Nächstenliebe und des Lichts in der dunkelsten Zeit des Jahres. Doch so friedlich die Szenerie in unseren Krippen auch aussieht, werfen wir einen Blick in die Bibel, die Quelle, tauchen sofort die ersten logischen Stolpersteine auf.

Wenn wir heute einen Bericht schreiben, achten wir auf Fakten. Die Evangelisten Matthäus und Lukas, die einzigen, die von der Geburt Jesu berichten, hatten jedoch eine andere Priorität: Sie wollten eine theologische Botschaft vermitteln. Das führt zu einer Reihe von Unstimmigkeiten, mit denen sich Historiker bis heute beschäftigen.

Logikprüfungen

1. Die Volkszählung und das Zeit-Dilemma

Lukas erzählt uns von der berühmten Volkszählung unter Kaiser Augustus, durch die Josef und die hochschwangere Maria nach Bethlehem kamen. Dabei erwähnt er Quirinius als Statthalter von Syrien. Das Problem? Historische Quellen belegen, dass Quirinius dieses Amt erst im Jahr 6 n. Chr. antrat. Laut Matthäus muss Jesus jedoch zu Lebzeiten von König Herodes geboren worden sein, der bereits im Jahr 4 v. Chr. starb. Da klafft eine Lücke von mindestens zehn Jahren, die sich historisch nicht füllen lässt.

2. Der Stern und die Astronomie

Der „Stern von Bethlehem“ ist das Symbol schlechthin. War es ein Komet? Eine Supernova? Oder die Konjunktion von Jupiter und Saturn? Astronomen haben für all diese Möglichkeiten Berechnungen angestellt. Doch rein logisch betrachtet: Ein Stern, der sich bewegt und dann punktgenau über einem bestimmten Haus stehen bleibt, wie es im Matthäusevangelium beschrieben wird, folgt nicht den Gesetzen der Astrophysik. Es ist ein literarisches Mittel, um die Bedeutung des Kindes zu unterstreichen, kein GPS-Signal der Antike.

3. Zwei verschiedene Geschichten

Ein Vergleich der Berichte von Matthäus und Lukas zeigt, dass sich diese kaum zu einem einheitlichen Zeitstrahl zusammenfügen lassen. Bei Lukas ist Nazaret die Heimat von Maria und Josef. Sie reisen nach Bethlehem lediglich aufgrund der Volkszählung. Im Matthäus-Evangelium hingegen wirkt die Familie bereits in Bethlehem ansässig. Sie bewohnt dort ein Haus und tritt von dort aus die Flucht nach Ägypten an. Erst nach der Rückkehr wird Nazaret als neuer Wohnort gewählt, um dem Nachfolger des Herodes auszuweichen. Die heute so vertraute, harmonische Krippenszene ist somit ein nachträglich zusammengesetztes „Best-of“ aus zwei erzählerisch sehr unterschiedlichen Überlieferungen.

Warum ausgerechnet der 24. oder 25. Dezember?

Wenn man die Bibel aufschlägt, sucht man ein Datum vergeblich. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Jesus im Winter geboren wurde. Im Gegenteil: Die Tatsache, dass Hirten nachts auf dem Feld ihre Herden hüteten, spricht eher für das Frühjahr oder den Herbst, da es im judäischen Bergland im Dezember empfindlich kalt und regnerisch sein kann.

Warum also der Dezember? Die Antwort liegt nicht in der Biografie Jesu, sondern in der Strategie der frühen Kirche. Im Römischen Reich war der 25. Dezember ein bedeutender Feiertag: „Sol Invictus”, der Tag des unbesiegten Sonnengottes. Gleichzeitig feierten die Germanen das Julfest zur Wintersonnenwende. Anstatt diese tief verwurzelten Bräuche zu verbieten, besetzte die Kirche einfach das Datum. Sie sagte: „Ihr feiert die Rückkehr des Lichts? Wir feiern das wahre Licht der Welt!” Im 4. Jahrhundert wurde der 25. Dezember schließlich als Geburtstag Jesu festgeschrieben.

In den meisten Ländern der Welt ist der 25. Dezember der Hauptfeiertag, der als „Christmas Day“ bezeichnet wird. Es ist der offizielle kirchliche Festtag. Warum aber fiebern wir in Deutschland dem Abend des 24. Dezembers entgegen? Das hat mit der alten jüdisch-christlichen Zeitrechnung zu tun. Früher begann ein Tag nicht um Mitternacht, sondern mit dem Sonnenuntergang des Vorabends. Der „Heilige Abend“ ist also die „Vigil“, die Nachtwache, und der Vorabend des eigentlichen Festes. Während die Kinder im englischsprachigen Raum ihre Geschenke am 25. morgens auspacken, haben wir die Bescherung einfach auf den Vorabend vorgezogen. Wir feiern also streng genommen „hinein“.

Faktencheck: Gab es Jesus wirklich?

Trotz der logischen Lücken in den Geburtsgeschichten und der Unklarheit über das genaue Datum gibt es einen Punkt, an dem die Wissenschaft heute kaum noch rüttelt. Jesus von Nazaret hat tatsächlich existiert.

Historiker und Archäologen sind sich einig, dass es sich nicht um eine Erfindung der Kirche handelt. Neben den biblischen Texten gibt es außerchristliche Quellen, etwa vom jüdischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus oder dem römischen Historiker Tacitus. Diese erwähnen einen Wanderprediger namens Jesus, der unter Pontius Pilatus hingerichtet wurde. Auch wenn die Details seiner Geburt mythisch überhöht sein mögen, ist die Existenz dieses Mannes als Fundament der Feierlichkeiten historisch gesichert.

Eine Geschichte, die uns verbindet

Ist Weihnachten also eine logische Katastrophe? Wenn man es als rein historischen Tatsachenbericht liest: Ja. Aber vielleicht ist das der falsche Ansatz. Weihnachten ist eine Geschichte, die mehr sein will als eine Ansammlung von Daten und Fakten. Es geht um die Idee, dass das Größte im Kleinsten zu finden ist, und dass mitten in der dunkelsten Nacht des Jahres ein Licht angezündet wird.

Ob der Stern astronomisch korrekt war oder Quirinius gerade im Dienst war, spielt für das Weihnachtsgefühl eigentlich keine Rolle. Weihnachten ist am Ende das, was wir daraus machen: eine kurze Pause im Getriebe der Welt, in der wir uns darauf besinnen, was uns als Menschen verbindet.


Quellenangabe

Alexas_Fotos (Teaserbild), Muzaproduction (Soundlogo), John Tramp, Melodigne, Gregor Quendel(Hintergrundmusik) via pixabay.com