Die gesetzliche Krankenversicherung, Reformvorschläge eines ERGO-Aufsichtsratsmitgliedes und die Kampagnen der Bild-„Zeitung“

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Der Ökonom Bernd Raffelhüschen fordert heute in der Bild-„Zeitung“ eine Selbstbeteiligung der gesetzlich Krankenversicherten. „Wir können uns das System nicht mehr leisten“, meint der Freiburger Wirtschaftsprofessor und schlägt vor, dass Patienten künftig mehr aus eigener Tasche zahlen sollen. Für die Eigenbeteiligung der Patienten sieht er mehrere Stufen zwischen 1.500 und 2.000 Euro pro Jahr vor.

Karl Lauterbach reagierte prompt: „Für Universitätsprofessoren wie Herrn Raffelhüschen oder mich wären diese Vorschläge bezahlbar, für die große Mehrheit der Bevölkerung nicht“ und mehr als der Bundesgesundheitsminister braucht man zu dem Thema auch nicht sagen.

Und die aktuellen Vorschläge von Prof. Raffelhüschen sind wohl auch nicht wirklich ernst gemeint. Denn gerade ein Wirtschaftsprofessor sollte wissen, dass in unserem Gesundheitssystem genug Geld vorhanden ist. Wir haben in Deutschland ein strukturelles Problem und das wird sich so schnell nicht lösen, dafür werden unsere Politiker schon sorgen. Schließlich müssen regelmäßig Wahlen gewonnen werden und da kann man große Wählergruppen nicht vor den Kopf stoßen. Das musste die SPD mit der Agenda 2010 bitter lernen, die die Partei die Macht kostete und – die Geschichte mag scheinbar Ironie – den Erfolg von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit begründete.

Warum aber macht der Herr Professor solche Vorschläge via Zeitungsinterview? Um diese Frage zu beantworten, lohnt sich ein Blick in seinen Lebenslauf. Herr Prof. Raffelhüschen ist Mitglied im Aufsichtsrat der ERGO Versicherungsgruppe. Außerdem ist er wissenschaftlicher Berater der Victoria Versicherung AG in Düsseldorf.

Honi soit qui mal y pense!

Die Mitgliedschaft in einer privaten Krankenversicherung ist nicht mehr das Nonplusultra. Ihre Mitglieder drängen in Scharen zurück in die gesetzlichen Krankenkassen, um der Kostenexplosion zu entgehen. Also müssen neue Märkte erschlossen werden, und genau darauf zielt die Idee ab. Für den raffelhüschenschen Selbstbehalt kann man doch eine Zusatzversicherung anbieten.

Und noch eine Frage stellt sich mir: Warum die Bild? Warum interviewt die Zeitung, die sich gerne als Anwalt des „kleinen Mannes“ sieht, jemanden wie Professor Raffelhüschen? Ganz einfach. Das bringt Unruhe ins Land. Wenn die Forderungen des Ökonomen genug Widerstand erzeugt haben, kann sich Bild als Held aufspielen und die Idee verdammen. Ich weiß nicht, wer in ein paar Wochen das aktuelle Feindbild der Springerpresse sein wird, aber dem kann man die Vorschläge in einer weiteren Kampagne sicher gut in die Schuhe schieben.


Kommentare

Danny • Mittwoch, 22. Februar 2023 um 22:00 Uhr

Ich möchte noch einen Tweet ergänzen, der exemplarisch für viele Äußerungen auf Twitter steht und zeigt, dass die Kampagne der Bild wirkt.

Die Frage, was die jetzige Bundesregierung mit den Vorschlägen von Prof. Raffelhüschen zu tun hat, habe ich in den Reaktionen auf den Beitrag nicht gefunden. Dafür wird immer wieder z.B. gegen Ausländer gehetzt oder auch gegen geschlechtsangleichende Operationen, die von den Krankenkassen bezahlt werden.